Barrierefreiheit verstehen – Was das BFSG für Unternehmen bedeutet
Barrierefreiheit war lange ein Thema der öffentlichen Verwaltung. Doch mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) sind nun auch viele Unternehmen in der Pflicht. Spätestens ab Juni 2025 müssen zahlreiche digitale Angebote barrierefrei gestaltet sein, vom Online-Shop bis zur E-Book-Plattform. Was technisch oft machbar klingt, stellt besonders kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vor große Herausforderungen.
Gleichzeitig zeigen Studien: Barrierefreiheit ist kein Nischenthema. Rund 10 % der Bevölkerung haben eine anerkannte Behinderung, und auch ältere Menschen, Personen mit Sehschwäche oder kognitiven Einschränkungen profitieren von barrierefreien Angeboten. Dieser Beitrag erklärt die wichtigsten Anforderungen, zeigt Beispiele und gibt Hinweise, wie Unternehmen das Thema pragmatisch angehen können.
Was bedeutet Barrierefreiheit auf Websites?
Barrierefreiheit bedeutet, dass Produkte und Dienstleistungen so gestaltet sind, dass sie von allen Menschen genutzt werden können, unabhängig von einer körperlichen, geistigen oder sensorischen Einschränkung. Auf digitale Angebote bezogen heißt das zum Beispiel:
– Webseiten lassen sich per Tastatur und Screenreader bedienen
– Texte sind klar strukturiert und verständlich
– Farben sind kontrastreich und nicht allein Informationsträger
– Alternativtexte beschreiben Bilder für sehbehinderte Nutzer
Die rechtliche Definition in § 3 BFSG verweist auf die EU-Norm EN 301 549. Diese orientiert sich an den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG 2.1) und ist damit auch international anschlussfähig.Verlängerungsmöglichkeit
Wen betrifft das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?
Grundsätzlich gilt das BFSG für Anbieter bestimmter digitaler Produkte und Dienstleistungen, darunter:
– E-Commerce-Websites und Online-Shops
– Bank- und Zahlungsterminals
– E-Book-Lesegeräte und -Software
– Öffentliche Fahrkartenautomaten
– Self-Service-Kiosksysteme (z. B. in Hotels oder Apotheken)
– Apps für Buchung, Navigation oder Kommunikation
Die Pflicht trifft alle Unternehmen, die mehr als 10 Beschäftigte haben und deren Jahresumsatz über 2 Millionen Euro liegt. Kleinunternehmen können teilweise ausgenommen sein – aber nur, wenn sie dadurch unverhältnismäßig belastet würden. Die Schwelle ist hoch und muss dokumentiert werden.
Warum gibt es das BFSG?
Das BFSG setzt die EU-Richtlinie (European Accessibility Act) in deutsches Recht um. Ziel ist es, digitale Barrieren abzubauen und einen einheitlichen Binnenmarkt zu schaffen. Denn bisher gelten in jedem Land andere Vorgaben, was die Nutzung von Websites oder E-Readern für Menschen mit Behinderungen betrifft.
Der Gesetzgeber betont dabei nicht nur den sozialen, sondern auch den wirtschaftlichen Nutzen: Barrierefreiheit erschließt neue Zielgruppen, verbessert die Usability für alle und stärkt die digitale Teilhabe.
Was müssen Unternehmen konkret umsetzen?
Die Anforderungen lassen sich in drei Bereiche gliedern:
1. Technische Barrierefreiheit
Websites, Apps und Software müssen den Anforderungen nach EN 301 549 entsprechen – also etwa:
– Textalternativen für Nicht-Text-Inhalte
– Navigierbarkeit ohne Maus
– Kontraste & Schriftgrößen skalierbar
– Fehlererkennung & -vermeidung bei Formularen
2. Erklärung zur Barrierefreiheit
Unternehmen müssen auf ihrer Website eine Erklärung zur Barrierefreiheit veröffentlichen.
Diese enthält:
– den Stand der Barrierefreiheit
– bekannte Einschränkungen
– einen Feedbackmechanismus für Nutzer
3. Feedback- und Korrekturprozesse
Es muss eine einfache Möglichkeit geben, Barrieren zu melden. Unternehmen sind verpflichtet, auf Rückmeldungen zu reagieren und ggf. Abhilfe zu schaffen.
Wie kann man Barrierefreiheit umsetzen?
Barrierefreiheit ist kein einmaliger Zustand, sondern ein fortlaufender Prozess. Unternehmen sollten idealerweise schon bei der Entwicklung digitaler Angebote auf Standards achten („Accessibility by Design“).
Praktische Tipps:
– CMS-Systeme (z. B. WordPress) mit barrierefreien Templates nutzen
– Alt-Texte und semantische Überschriften bei jeder neuen Seite mitdenken
– Navigation klar strukturieren – auch mit Tastatur bedienbar
– Formulare auf Verständlichkeit, Fehlervermeidung und Bedienbarkeit testen
– Externe Agenturen oder Freelancer mit WCAG-Erfahrung einbeziehen
Welche Tools helfen bei der Prüfung?
– WAVE: Browser-Tool zur Prüfung von Kontrast, Alt-Tags und Struktur
– axe DevTools: Chrome-Plugin zur automatisierten Prüfung nach WCAG
– BITV-Test: ausführlicher Test nach deutscher Barrierefreiheitsverordnung
– NVDA / VoiceOver: Screenreader zum Selbsttest der Website-Bedienung
Tipp: Kombiniere automatische und manuelle Tests, um realistische Ergebnisse zu erhalten.
Wer prüft die Einhaltung?
Zuständig sind die Marktüberwachungsbehörden der Bundesländer, meist untergebracht bei den Landesämtern für Verbraucherschutz oder Wirtschaft.
Sie können:
– Dokumentationen anfordern
– Produkte und Websites prüfen
– Korrekturen anordnen
– Bußgelder verhängen (bis zu 100.000 €)
Darüber hinaus können auch Verbände, Wettbewerber oder Betroffene rechtlich gegen Verstöße vorgehen – insbesondere im Rahmen des Wettbewerbsrechts oder der Verbandsklage.
Was droht bei Verstößen?
Neben Bußgeldern drohen auch Abmahnungen, Vertragsverluste oder Image-Schäden. Unternehmen, die mit öffentlichen Stellen zusammenarbeiten oder Gütesiegel führen (z. B. TÜV, DIN, ISO), riskieren zusätzliche Reputationsverluste, wenn ihre digitalen Angebote nicht barrierefrei sind.
Fazit
Barrierefreiheit ist kein reines IT-Thema, sondern betrifft Design, Kommunikation und Organisation gleichermaßen. Unternehmen, die frühzeitig in barrierefreie Gestaltung investieren, profitieren mehrfach: Sie erfüllen gesetzliche Pflichten, verbessern die Nutzerfreundlichkeit und zeigen soziale Verantwortung. Gerade KMU sollten das BFSG als Chance sehen – nicht nur als Compliance-Aufwand.

